
1. Mai: Kundgebung am Neumarkt
Trotz Auflagen. Am 1. Mai trafen sich 60 Gewerkschafter*innen und Aktivist*innen aus unterschiedlichen Bewegungen und Migrantenorganisationen am Neumarkt, um die traditionelle Mai-Kundgebung ab-zuhalten.
Es gab zahlreiche Auflagen und eine Beschränkung der Teilnehmerzahl, aber zum Schluss sprachen acht Redner*innen zur momentanen Situation von Kindern und Jugendlichen, in Familien, den Arbeitsbedingungen im Klinikum, Fridays for Future in Coronazeiten, der Einschränkung demokratischer Rechte in Zeiten der Pandemie und zu der Frage, wer die ganzen aufgehäuften Schulden bezahlen soll.
Stellvertretend für alle drucken wir hier die Rede einer Kollegin aus dem städtischen Klinikum ab, die großen Anklang fand.
„Ja, hallo, ich begrüße Euch herzlich zum 1. Mai. Die, die noch nicht wissen, wer ich bin: Ich bin Silke Schmidt, in bin tätig im Klinikum, in der Strahlentherapie als MTA, und ich wollte Euch er-zählen, was seit der Pandemie im Klinikum eigentlich los ist. Wir haben Corona, wir haben Pandemien schon immer gehabt, wir haben gedacht, wir sind vorbereitet. 2012 gab es schon den SARS-2, wovor alle gewarnt haben, wo Virologen gewarnt haben: ja, es kann gefährlich werden.
Dann kam die Schweinegrippe, und es wurde dann doch nicht so gefährlich. Es wurden Pandemiepläne gemacht, es wurden Rufnummern akquiriert von allen Gesundheitskräften. Wir haben gedacht, wir sind vorbereitet. Dann vorletztes Jahr im Dezember hieß es: Wir haben COVID-19.
Es war weit weg, es war in China, dachten wir.
Herr Spahn hat gesagt: „Wir sind vorbereitet, alles ist gut“. Wir haben ihm vertraut, wir haben gedacht: Pandemiepläne sind da, es wird nichts schiefgehen. Und auf einmal kam Corona nach Deutschland, und auf einmal hatten wir nichts! Wir hatten viele kranke Menschen, wir hatten keine FFP2-Masken in den Krankenhäusern, wir hatten keine Handschuhe. Wir hatten einen Mundschutz pro Woche. Wir hatten Handschuhe zwei Paar die Woche gekriegt, die wir desinfizieren mussten. Wir hatten kaum Desinfektionsmittel. Wir sind jeden Tag mit Angst ins Klinikum gegangen, um uns anzustecken. Wir wurden beklatscht, wir wussten nicht, was wir davon halten sollten - ehrlich gesagt. Wir wollten eigentlich lieber die auf der Seite sein, die klatscht, als uns jeden Tag zu gefährden, wo keiner wusste, wie hoch die Gefahr eigentlich ist.
Dann in der zweiten Welle hieß es: ja, ihr bekommt mehr Personal.
Wir haben vorgesorgt, wir haben viele Betten. Wir haben das Theater und Konzerthaus, da haben wir Betten. Wir haben genug Beatmungsgeräte.
Dann stellte man fest: ja komisch, wir haben ja gar kein Personal dafür!
Wenn man sich jetzt das Intensivierter anguckt, wir haben 23.000 Intensivbetten, davon sind 5.000 mit Coronapatienten belegt. So, das sind aber keine Möbelstücke! Das sind Betten, die von medizinischen Kräften betreut werden können in einem Land mit 82 Millionen Einwohnern.
So, wir haben im Moment eine Situation, wo wir einen Virus haben, den wir mit einfachen AHA-Regeln und Mundschutz relativ im Zaum halten können. Was ist, wenn wir eine schlimmere Pandemie bekommen? Was ist, wenn wir durch die Klimakrise jetzt schlimmere Pandemien bekommen? Reichen da wirklich diese 23.000 Betten für 82 Millionen Menschen?
Wie gesagt, das sind keine Möbelstücke, das ist Personal, was fehlt! Für Eure Gesundheit. Für uns, für unsere Kliniken, für unser Leben letztendlich. Und dieser Kampf, für die Krankenhäuser, für die medizinischen Fachkräfte, das ist Euer Kampf, das sind nicht wir. Wir wollen auch nicht mehr Geld, wir wollen Bedingungen, die nicht krank machen. Wir wollen Bedingungen haben, die uns er-möglichen, wo wir unsere Wirbelsäule bis zur Rente gesund halten können, unsere Psyche gesund halten wollen. Wir wollen einfach einen sicheren Job, und mit sicher meinen wir: mit sicheren Bedingungen!
Es geht nicht nur um Geld! Den Corona-Bonus haben wir bekommen, alles schön und gut! Aber das, was wir das Jahr über erlebt haben ...
Ich weiß nicht, wie es ist, wie Ihr Euch vorstellen würdet, diese Masken acht Stunden zu tragen, damit zu reanimieren, damit zu arbeiten. Die Berufsgenossenschaften sagen: Wir sollen alle 70 Minuten eine 30 Minuten Maskenpause einlegen. Ich habe in dem Jahr noch nie eine Maskenpause gemacht! Man bekommt Kopfschmerzen, man ist einfach durch, man kann nicht mehr, wenn man abends nach Hause kommt.
Auch wir brauchen in unserem harten Beruf eine Psychohygiene. Wir brauchen Kultur, wir brauchen Freizeit, wir brauchen Kino, um das zu verarbeiten, was wir tagsüber erleben. Das ist nicht gegeben. Wir müssen immer in der Arbeit funktionieren, unter den schwersten Bedingungen, und wir müssen immer alles richtig machen, wir dürfen keine Fehler machen. Da hängen Menschenleben dran. Und wir wollen, dass das honoriert wird. Wir wollen eine Rente haben, mit der wir auskommen können. Wir wollen einen Beruf haben, der nicht krank macht.
Wenn wir Feierabend hatten, wurden wir von vielen Leuten gemieden, weil die ja nicht wussten, ob wir was haben, ob wir sie anstecken. Es wurden Kolleginnen und Kollegen diskriminiert, wenn sie mit Berufskleidung im Ambulanten Pflegedienst Tankstellen betreten haben. Ich weiß nicht, man kommt sich wirklich vor, als wäre man aussätzig in einer Gesellschaft, wo man für die Kranken eintritt. Das geht nicht!
Wir wollen einfach als Berufsgruppe die Anerkennung haben, und wir wollen, dass diese Regierung endlich funktioniert und, statt die Lufthansa finanzieren, endlich die Fallpauschalen abschafft und Geld in die Krankenhäuser steckt. Wir wollen, dass die Bedingungen auf den Intensivstationen, in der Pflege endlich angegangen werden.
Wir wollen Personal, wir wollen Krankenpfleger im Krankenhaus haben, keine Bundeswehr. Es ist alles Makulatur! Wir freuen uns, dass die Bundeswehr hilft, das ist erst einmal ein Trostpflaster; aber dann, nachher, wenn die Pandemie vorbei ist, sind die weg, und es geht weiter. Es werden weiterhin Krankenhäuser privatisiert, es werden wieder Betten gestrichen. Das muss aufhören!
Nicht für uns – für uns alle in dieser Gesellschaft."