Haushaltsrede 2023

Ulrike Zerhau

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister,
sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Kolleginnen und Kollegen,

es ist beschämend und unwürdig, wie im Vorfeld der Haushaltsbeschlüsse selbst kleine Posten hin und hergeschoben werden, um ein bisschen Geld für andere, dringend zu erledigende Ausgaben zusammenzukratzen. Solingen macht schon lange keine Sparpolitik mehr, denn Sparen heißt eigentlich, dass Geld zurückgelegt wird, das gerade nicht gebraucht wird. Hier wird schlichte Kürzungspolitik gemacht. Die Stadt ist gezwungen, Prioritätenlisten anzulegen für Aufgaben, die eigentlich alle getätigt werden müssten, wofür aber vorne und hinten das Geld fehlt. Beispiel sind die Schulsanierungen, die nur noch zur Hälfte in Angriff genommen werden können.

Die systematische Unterfinanzierung der Kommunen ist ein Skandal. Daran wollen und dürfen wir uns nicht gewöhnen. Deshalb bitten wir Sie ernsthaft: Machen Sie das Thema in Ihren eigenen Parteien dringender, treten Sie gegebenenfalls Ihren Parteikolleginnen und -kollegen vors Schienbein, setzen Sie sich in allen Parteigremien für eine bessere und sichere finanzielle Ausstattung der Kommunen ein, besonders auf Parteitagen, wo die entscheidenden Beschlüsse gefasst werden. Es ist doch absurd, wenn sich alle Politikerinnen und Politiker vor Ort beklagen, aber auf Bundesebene in den eigenen Parteien gegenteilig gehandelt wird!

Auch in Solingen spüren wir, wie wir mit unserer Gesellschaft und Umwelt in Mehrfachkatastrophen rasen. Durch falsche Schwerpunktsetzung, durch Nachgeben gegenüber wirtschaftlichen Profitinteressen, durch Unterlassung und organisatorische Fehler.

Die Wissenschaft weist inzwischen täglich darauf hin, was der Erde hinsichtlich der Klima- und Biokatastrophe blüht, wenn nicht das Leben selbst, Umwelt und Natur Maßstab unserer Lebens- und Wirtschaftsweise sind. Die Vorboten sind längst auch in Solingen angekommen, wie wir besonders bitter mit dem Hochwasser vor 2 Jahren erleben mussten. Umweltgerechte Stadtgestaltung ist angesagt. Dafür braucht es Geld. Viel Geld, mehr als der Haushalt hergibt.

Kriege kommen immer näher. Zwischenstaatliche Konflikte werden mit Waffen ausgetragen statt mit Diplomatie gelöst. Über Kriegsfolgen wird viel zu wenig gesprochen. Inwieweit sie sich in Geld messen lassen, bekommen wir alle mit. Steigende Preise und noch ein Extrahaushalt mehr bei der Stadt. Was Kriege aber mit den Menschen macht, wie sich Werte und Umgangsweisen ändern, werden wir erst nach einiger Zeit bemerken.

Innerhalb der Gesellschaft macht sich soziale Kälte breit, wird soziale Ungleichheit und Armut als selbstverschuldetes Schicksal behauptet. Wenn jetzt nicht gegengesteuert wird, wenn Politik heute versagt, wird Armut und Ungleichheit weiter zunehmen und sozialen Sprengstoff bilden. Dann werden wir unsere Gesellschaft in ein paar Jahren nicht mehr wiedererkennen. Das uns bekannte soziale Gefüge der Solinger Stadtgesellschaft wird auseinander geraten. Schon jetzt wird das Ausmaß an Armut, fehlenden Wohnungen und sozialer Ausgrenzung unterschätzt. Die Fachleute der Wohlfahrtsverbände sind alarmiert.

Obwohl allen bekannt ist, in welch katastrophale Situation die Wohlfahrtspflege geraten ist, obwohl es bekannt ist, dass ganze Betätigungsfelder der Wohlfahrtsträger unterfinanziert und im Bestand gefährdet sind, gelingt es nicht die notwendigen Mittel herbeizuschaffen. Der uns vorliegende Haushalt wird das noch geleistete Aufgabenspektrum der freien Träger nicht mehr absichern können. Die Situation in der offenen Ganztagsschule ist vielfach schon jetzt für Kinder wie Beschäftigte kaum auszuhalten, Kitaplätze sind viel zu knapp und immer mehr Eltern werden ihre Kinder nicht unterbringen können. Wollen wir das wirklich akzeptieren?

Die Beschäftigten der Kommunen und des Bundes streiten zurzeit um eine Bezahlung, die zumindest die Inflation ausgleicht. Gerade die in den unteren Einkommensgruppen brauchen dringend mehr. Die gewerkschaftlichen Forderungen sind berechtigt und Warnstreiks nötig. Hoffentlich sind sie erfolgreich. Schon jetzt fehlt Personal an allen Ecken und Enden. Viele Beschäftigte werden demnächst altersbedingt ausscheiden. Die Attraktivität einer Stelle wird nicht zuletzt auch durch die Höhe der Bezahlung bestimmt. Der Kämmerer erwartet im Tarifergebnis 5% zusätzliche Personalkosten, was voraussichtlich nicht reichen wird. Für die Wohlfahrtsverbände betragen die geplanten Ansätze sogar nur 2%. Damit werden sie nicht auskommen. Vor zwei Monaten haben wir alle ein Schreiben bekommen, in dem uns vor Augen gehalten wird, dass allein die Belastungen durch höhere Energiepreise ihr Budget sprengen. Deshalb haben wir den Antrag gestellt, weitere 8% für die Wohlfahrtsverbände zu veranschlagen.

Eine weitere Krise, die sich noch deutlich zuspitzen wird, ist die Wohnungsknappheit. Dank unserer Wohnungsbaugenossenschaften ist die Not noch nicht so groß wie in manch anderen Städten. Aber die Zahl derer, die sich einen Umzug nicht mehr leisten können oder die steigenden Mieten nicht verkraften, wird auch bei uns immer größer. Deshalb stellen wir nochmal den Antrag, endlich eine kommunale Wohnungsbaugesellschaft zu gründen. Gleichzeitig soll die Stadt darauf verzichten, privaten Wohnungsgesellschaften immer mehr kommunale Grundstücke zu verkaufen, sondern besser ihr Eigentum zusammenhalten. Andere Städte geben ein Beispiel und überlassen Privaten ihr Grundstücke nur noch in Erbpacht, warum können wir das nicht?

Seit Jahren wird gefordert, dass Bund und Land die Finanzausstattung der Kommunen sicherstellen. Die dafür notwendigen Mittel sollen bei denen eingefordert werden, die Vermögen sammeln oder Spitzeneinkünfte erzielen konnten und bei denen, die mit der Energiekrise Übergewinne eingefahren haben. Es muss endlich eine Steuerpolitik gemacht werden, die nicht den Klein- und Mittelverdienern in die Tasche greift, sondern die Vermögenden und Leistungsstarken zu ihrem Beitrag für die Allgemeinheit verpflichtet. Deshalb haben wir im letzten Jahr selbstverständlich gerne den kommunalen Hilferuf nach einer grundlegenden Reform der Gemeindefinanzen mitunterschrieben.

Aber die Stadt muss auch selbst ihre Einnahmespielräume nutzen, und zwar sozial. In vielen Gesprächsrunden zum Haushalt sollten wir bereits darauf eingeschworen werden, dass demnächst die Grundsteuer B erhöht werden müsse. Diese Steuer trifft aber ohne Rücksicht auf die finanziellen Möglichkeiten die gesamte Bürgerschaft der Stadt. Nicht nur Gut- und Besserverdienende, sondern auch Menschen mit kleinen Einkommen. Diese Steuer macht keine Unterschiede! Während immer wieder von der Notwendigkeit einer höheren Grundsteuer die Rede ist, wird an eine mögliche Erhöhung der Gewerbesteuer offenbar kein Gedanke verschwendet.

In Solingen unterbieten wir seit Jahren die Hebesätze der Gewerbesteuer unserer bergischen Nachbargemeinden. Bei der Grundsteuer ist es übrigens genau anders rum, da greifen wir in Solingen den Menschen tiefer in die Tasche. Eine Erhöhung des Gewerbesteuerhebesatzes auf 500 v.H. würde eine Mehreinnahme von ca. 5 Millionen bedeuten. Angeblich würde Solingen dadurch aber als Standort für Betriebe unattraktiv. Das ist aber doch ein Popanz, der da aufgebaut wird. Die Gewerbesteuer zieht die zur Verantwortung, die wirtschaftlich leistungsstark sind. Die ersten 24.500 Euro vom Jahresgewinn bleiben steuerfrei. Überhaupt: Die Höhe der Gewerbesteuer entscheidet doch nicht über die Lebensfähigkeit eines Betriebes. Beispiel: Ein Einzelbetrieb mit 150.000 Euro Gewinn muss knapp unter 21.000 Euro an Steuern zahlen. Würden wir in Solingen den Hebesatz um 25 Punkte auf 500 v.H. erhöhen, müsste dieser Betrieb zukünftig gerade einmal 80 Euro pro Monat zusätzlich zahlen. Anmerkung am Rande: Ein gutverdienender Angestellter zahlt übrigens den gleichen Betrag bereits bei einem Jahreseinkommen von 75.000 Euro. Es ist doch nicht glaubhaft, dass ein Betrieb wegen so einer Anhebung der Gewerbesteuer seine Standortentscheidung überdenkt. Da sind ganz andere Kriterien wichtiger: Zum Beispiel, ob die Stadtverwaltung organisatorisch und personell in der Lage ist eine Antragsbearbeitung flott zu erledigen.

Wir halten es für geboten, dass die Stadt mehr Aktivitäten entwickelt, um Gelder, die ihr zustehen, auch einzunehmen. Deshalb soll die Zusammenarbeit mit den Finanzämtern verstärkt werden, damit Ansprüche aus der Gewerbesteuer auch erkannt und durchgesetzt werden können. Dahin zielen die weiteren Punkte unseres Antrags.

Den geplanten Ausgaben und den meisten Positionen der Antragsliste können wir ohne weiteres zustimmen. Zumal dort endlich auch unser bereits im März letzten Jahres gestellter Antrag auf kostenfreie Bereitstellung von Menstruationsartikeln auftaucht. Dass es für die jetzt bereitgestellten 5.000 - 7.500 Euro ein Jahr bis zur Umsetzung dauert, ist eigentlich ein Trauerspiel. Angesichts der insgesamt nicht ausreichenden Mittel für soziale Leistungen und verkehrspolitischem Festhalten am Auto als vorrangiges Verkehrsmittel sehen wir den Haushaltsplan als unzureichend an. 

Langer Rede kurzer Sinn: Wir brauchen mehr Mut für die überfällige Erhöhung der Gewerbesteuer, mehr Druck auf die politisch Verantwortlichen in Regierungen und Parteien und Vorrang für alle sozialpolitischen und umweltschützenden Maßnahmen. Dann können wir dem Haushalt zustimmen.